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RHEINGOLD ist ein Film über einen Zug und über die Landschaft zwischen Düsseldorf und Basel, durch die er fährt. RHEINGOLD ist die Geschichte einer Leidenschaft zwischen zwei Menschen, die sich nur mit diesem Zug erfüllen kann. Eine 5 Stunden und 15 Minuten lange Fahrt, auf der es an diesem Tag zu einer dramatischen Auseinandersetzung kommt. RHEINGOLD ist der erste Spielfilm, der ausschließlich in einem fahrplanmäßig verkehrenden Zug gedreht wurde. Auf der Strecke von Düsseldorf nach Basel im Trans-Europ-Expreß "Rheingold". Dieser Film wird dem Genre der "Eisenbahnfilme" in seiner absoluten Form nicht nur ein weiteres Beispiel hinzufügen.

(Pressemitteilung 1978)  

  



DREHZEIT

Die Dreharbeiten fanden in einem von der Deutschen Bundesbahn angemieteten TEE-Abteilwaggon statt. In München wurde er für die Aufnahmen technisch ausgerüstet. Am 4. August 1977 um 9.15 Uhr ist er erstmals in Emmerich an den TEE 7 "Rheingold" angehängt und um 15.36 Uhr in Basel SBB wieder abgekoppelt worden. Am nächsten Tag dasselbe mit dem Gegenzug, dem TEE 6, 14.32 ab Basel SBB, Ankunft in Emmerich 20.36. Und so weiter. Am 27. August die letzte Fahrt am "Rheingold". Anschließend das Abfahren der Außenmotive bis 10. September. 19.-25. September Zugpassagen von außen. Dann 1. und 6. Oktober die letzten Aufnahmen.



     Der Trans-Europ-Express "Rheingold" verkehrt täglich zwischen Hoek van Holland und Genf. Bereits seit Jahrzehnten ist er eine Legende. Nicht nur deshalb weil ein Teil seiner Strecke dem Rheinlauf folgt, sondern auch, weil sich mit diesem Namen eine seltsame Mischung aus Mythologie und Luxus verbindet.

   

     Für Elisabeth Drossbach hat dieser Zug jedoch noch eine ganz andere Bedeutung. Nur in und mit ihm konnte sich nämlich die leidenschaftliche Beziehung zu einem Schulfreund entwickeln. Ihre Sexualität wurde vom Fahrplan bestimmt. Ihre regelmässigen Reisen von Genf zu ihrer Mutter nach Düsseldorf waren der Anlaß. Wolfgang Friedrichs wiederum schätzt die ungebundene Arbeitsweise eines Minibar-Kellners. Vor allem aber liebt er das Ambiente einer Welt, welches ihn bereits als Kind zu einem Eisenbahn-Fan werden liess. Von Anbeginn an hatte das Fahren auf Schienen auch einen stark erotischen Aspekt - der "Rheingold" war seine Erfüllung.

   

     Als Elisabeth diesmal in Düsseldorf in Richtung Genf einsteigt, weiß sie, dass sie Wolfgang zum letzten Mal sehen wird. Sie will nämlich ihrem Mann, der als UNO-Diplomat versetzt wird, nach New York folgen. Aber Elisabeth schafft es nicht wirklich, Wolfgang das Ende ihrer Beziehung klar zu machen. Im Gegenteil, wieder schlafen sie im fahrenden Zug miteinander. Doch bereits in Bonn nimmt die Reise noch einen ganz anderen Verlauf: Elisabeths Mann steigt überraschend zu und sieht seine Frau nur Sekunden in einer verfänglichen Situation. Mit aller Entschiedenheit offenbart er sich und nimmt mit Elisabeth in einem anderen Abteil Platz. Die Sache scheint ausgestanden... Ein harmloses Geschenk von Elisabeths Mutter jedoch wandelt sich langsam zu einem zitternden Mordinstrument. Plötzlich ist dieser Brieföffner in Drossbachs Hand und stösst auf die lesende Frau ein!

   

     Beim nächsten Halt verlässt Drossbach fluchtartig den Zug. Doch noch am Bahnhof nimmt er ein Taxi und rast hinter dem "Rheingold" her. Elisabeth Drossbach verblutet innerlich. Sie weist jede Hilfe von sich und versucht, ihren Zustand - auch vor Wolfgang - zu verbergen. In fiebrigen Bildern läuft nun mehr und mehr ein Lebens-Film ihrer Beziehungen ab, immer stärker wird die Sexualität vom Tod überlagert - wird der Zug zur Zeitmaschine... Tatsächlich erreicht Karl-Heinz Drossbach in Freiburg wieder den Zug, aber Elisabeth kennt ihren Mann nicht mehr. Als der "Rheingold" in Basel ein letztes Mal den Rhein überquert, stirbt sie.  

RHEINGOLD Special

Das Protokoll

Das Fahrtenbuch

Das Team

Die Darsteller

Die Presse

Der Vorspann   

Die Geschichte

Die Geschichte

Die Bilder

Die Strecke

Die Fahrzeuge

Der Vorspann   

Das Drehbuch   


Baureihe E 03-(Neubau-DB) -DB-103

Vorserientyp


Achsanordnung Co'Co'
Treibrad-O 1250 mm
Laufrad-O - mm
Höchstgeschwindigkeit 200** km/h
Stundenleistung 6420/7780* kW
bei Geschwindigkeit
200/181* km/h
Dauerleistung 5950/7440* kW
bei Geschwindigkeit
200/191* km/h
Anfahrzugkraft 32 000/31 800* kp
Stundenzugkraft 11 800 kp
Dauerzugkraft 10 900'/14 300* kp
Länge über Puffer
19500/20200 mm
Dienstlast 110/114* Mp
Reibungslast 110/114* Mp
Achslast max. 18,6/19,0* Mp
Leistungskennziffer
59,5/65,3* kW/t
Stromsystem 162/3 Hz, 15 kV
Anzahl der Motoren 6
Antrieb SKH'/HVA
Steuerung St
Anzahl der Dauerfahrstufen 39
Transformator
4750/6250* kVA, OFU
Indienststellung 1965/1970*
* Lokomotiven ab 103 101
** Lokomotive 103 118 = 250 km/h
Betriebsnummern:
E 03 001-004, 103 101-227

Gattung Avümz 111.1

Die Schnellzugwagen der Gattung Avümz sind für den Einsatz in lokomotivbespannten TEE- und Fernreisezügen mit einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h gebaut worden. Neben neun besonders geräumigen Fahrgastabteilen mit insgesamt 54 Sitzplätzen sind zwei Toiletten, zwei Vorräume und ein Seitengang vorhanden. Die 26,4 m langen Wagen haben Drehgestelle der Bauart Minden-Deutz erhalten. Als besondere Neuerungen bei den letzten Lieferserien sind die aus Leichtmetall gefertigten Schwenkschiebetüren. Die ersten Wagen der Vorausbauart 111 entstanden bereits im Jahr 1969, sie alle zeichnen sich durch einen hohen Ausstattungs- und Fahrkomfort aus.


Gattung Apümh 121

Mit den Wagen Apümh 121 und 121.1 schuf die deutsche Fahrzeugindustrie im Jahr 1971 den Typ eines neuen Großraumwagens für den TEE-Verkehr und für Fernschnellzüge im Internationalen Festlandverkehr. Nahezu alle der 26,4 m langen Wagen sind für eine Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h zugelassen. In dem besonders geräumigen Fahrgastabteil befinden sich insgesamt 48 Sitze in der Anordnung 2+1 mit Mittelgang. An den Stirnwänden sind geschlossene Gummiwulstübergänge angeordnet. Eine am Langträger angebrachte Schürze schützt und verdeckt die Geräte unter dem Wagenboden. Eine moderne Beleuchtungs- und Klimaanlage erhöhen den Reisekomfort.

Gattung WRümh 132

Speisewagen mit der Bauartnummer 132 sind für den Einsatz im nationalen und im internationalen Fernreiseverkehr gebaut worden. Bereits im Jahr 1962 entstand eine Vorserie mit fünf Exemplaren. Für den Einsatz in TEE-Zügen hat die Wagengattung einen Anstrich in den Farben Rot/Beige erhalten, in normalen Fernschnellzügen fahren die Wagen in roter Lackierung. Die Fahrzeuge besitzen zwei Speiseräume mit zusammen 42 Sitzplätzen, einen Wirtschaftsteil mit Büfett, Küche und Spülraum. Bei den ersten Wagen betrug die Länge noch 26.4 m, alle anderen sind 27,5 m lang, alle sind mit Drehgestellen der Bauart Minden-Deutz ausgestattet.

Gattung ARümz 211

Sie zählen zu den jüngsten TEE-Fahrzeugen der Deutschen Bundesbahn. Im Jahr 1971 konnten die ersten dieser Halbspeisewagen in Dienst gestellt werden. Zu den Besonderheiten dieses Wagentyps zählt der Dachstromabnehmer. Während des Stillstandes des Wagens kann je nach den örtlichen Verhältnissen die elektrische Energie aus der ortsfesten 1000 V-Vorheizanlage, oder aus dem Fahrdraht über den Stromabnehmer und den Dachtransformator entnommen werden. Die Wagen sind für eine Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h zugelassen und haben Minden-Deutz-DrehgestelIe. In einem Großraumabteil finden 18 Reisende Platz, der Speiseraum weist insgesamt 30 Sitzplätze auf.

Gattung ARümh 217
Der Wagentyp ARümh 217 ist für den Einsatz in Schnell-, Fernschnell-, IC- und TEE-Zügen im innerdeutschen und im internationalen Verkehr entwickelt und ab 1966 geliefert worden. In einem Großraum sind 18 Sitzplätze vorhanden, im Speiseraum sind es 30 Plätze. Zu den Wirtschaftsräumen zählen ein Spülraum, die Küche, ein Büfett und ein Personalwaschraum. Zum Beladen mit Vorräten sind im Wirtschaftsteil zwei Schiebetüren in die Außenwände eingesetzt. Der Wagen mit einer Länge über Puffer von 27500 mm fährt auf Drehgestellen der Bauart Minden-Deutz, mit Geschwindigkeiten bis zu 160 km/h. Die Innenausstattung ist sehr geschmackvoll und komfortabel.

Gattung ADümh 101
Diese Fahrzeuge wurden in den Jahren 1962 und 1963 als Aussichtswagen für den "Rheingold" in Dienst gestellt. Neben zwei besonders geräumigen Fahrgastabteilen mit 12 Sitzplätzen, verfügen die Wagen im Oberdeck über ein Schreibabteil und über einen Aussichtsraum mit 22 Sitzplätzen. Im Unterdeck befinden sich außer einer Bar mit 15 Sitzplätzen auch noch zwei Toiletten, ein Maschinen-, ein Post- und ein Gepäckraum, dazu kommen noch zwei Vorräume und eine Telefonzelle. Die Wagen laufen auf Drehgestellen der Bauart Minden-Deutz und sind für eine Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h zugelassen. Die Länge über Puffer beträgt 26 400 mm. Einsatzbestand 5 Wagen. Die Aussichtswagen wurden Ende 1976 an ein Privatunternehmen verkauft. So stand für die Dreharbeiten leider kein Wagen mehr zur Verfügung.


 

TAKE ONE 9/78  


Flamingo Hours    


by Gene Youngblood     


"Nothing could have prepared us for the triumph of RHEINGOLD. It is, quite simply, a masterpiece."     


"Nichts hätte uns für den Triumph von RHEINGOLD vorbereiten können. Es ist, ganz einfach, ein Meisterwerk."   


 Dem Pantheon der brillanten Filmemacher, die als "Münchner Schule" bekannt sind, müssen wir jetzt den Namen Niklaus Schilling hinzufügen. Schilling, ein Schweizer Autor, Regisseur und Cinematograph, der in West-Deutschland lebt, erregte 1977 internationales Aufsehen mit DIE VERTREIBUNG AUS DEM PARADIES. Das ist eine metaphysische Fabel über die deutsche Filmindustrie zweifellos das Werk eines inspirierten und talentierten Mannes. Er bringt auch eine Frau auf die Leinwand, Elke Haltaufderheide, die einfach eine der hypnotischsten Schauspielerinnen ist, die ich seit Jahren gesehen habe: blaß, introvertiert, sinnlich und leicht tragisch. Nichts hätte uns jedoch den Triumph von RHElNGOLD vorbereiten können, Schillings nächsten und bisher neuesten Film (1978). Er ist, ganz einfach, ein Meisterwerk.   


Der Titel spielt auf eine Strecke des Trans-Europ-Express an und auf den Zug, dar dort fährt, den TEE RHEINGOLD. Ein Karriere-Diplomat und seine sinnliche Frau steigen getrennt und zufällig an verschiedenen Stationen ein, ohne voneinander zu wissen. Der Liebhaber der Frau ist Kellner im Zug. Der Ehemann findet sie zusammen. Zurück im Abteil stößt er ihr ein Messer in den Bauch und verläßt den Zug. Plötzlich kommt er wieder zur Vernunft, nimmt ein Taxi und verfolgt den Zug. Die Frau ist tödlich verletzt, und um ihren Ehemann nicht zu belasten, verbirgt sie die Wunde und sitzt sterbend im Abteil. Schnitt auf das Taxi, das dem schnellfahrenden Zug hinterherrast, wie er im Zwielicht verschwindet. Schnitt auf den Kellner, der von Zeit zu Zeit nach seiner Geliebten sieht, ohne von ihrem Schicksal zu wissen.   


So sehen wir ein Hitchcock-Griffith-crime-and-passion-Melodrama ablaufen. Nun eine Überraschung: ln das Abteil kommt ein wunderschöner moderner Todes-Engel. Diese Frau sitzt da und schaut, ohne zu sprechen. Ein kleines "Gretchen" kommt dazu und ein alter Mann der die Legende der Loreley erzählt, jener Sirene des Rheins, die die Schiffer ins Verderben lockte. Eine spukhafte Musik untermalt die Szene. Vor dem Fenster zieht ein mythologisches Deutschland vorbei. Was als Thriller begann wird jetzt ein metaphorisches Porträt Deutschlands, tragisch, heroisch und sublim.   


 Als ihr Leben zu Ende geht, sieht die Frau in einem Fiebertraum ihren Liebhaber. Wir sehen diese Visionen. Sie gehören zu den ungewöhnlichsten der Filmgeschichte. Ich kann die Majestät und Romantik dieser Szenen nicht beschreiben. Sie sind zutiefst erotisch, ohne jede Nacktheit. Eine qualvolle Atmosphäre von Apokalypse und Hoffnung umfängt den Film. Die Musik steigert sich in außerirdische Höhen. Die Bilder werden immer erstaunlicher, leuchtender, durchsichtiger. Die Tragödie folgt ihrer Bestimmung mit zwingendem, beinahe unerträglichem Rhythmus. Der Film hat mich umgeworfen. Alles an ihm ist Perfektion. Über allem steht die schauspielerische Leistung von Elke Haltaufderheide. Jede Einstellung des Films verehrt sie, und ihr Magnetismus ist überwältigend. Ihre Leistung wird nur von dem Film als ganzem erreicht, d.h. von der inspirierten Vision von Niklaus Schilling, der mit Herzog, Wenders und Fassbinder zu den Großen des neuen Deutschen Films gehört.   

  

 















Vorwärts 4 -1/79


Peter W. Jansen  

Die Zeit erreicht ihr Ziel   


"Rheingold" von Niklaus Schilling -

ein Film als Provokation   



     Das Melodram hat in Deutschland eine gebrochene Tradition. Die Ufa des "Dritten Reiches" hat es weidlich ausgebeutet und mit der Evokation von Gefühlen das Denken eingenebelt. Dennoch ist es als die große naive Form des Kinos nach wie vor eine seiner stärksten Potenzen. Rainer Werner Fassbinder bedient sich ihrer und auch der in Deutschland lebende Schweizer Niklaus Schilling. Nur: naiv ist das Melodrama schon lange nicht mehr.     

     "Rheingold", der neue Film von Niklaus Schilling, ist umstritten wie lange kein anderer Film. An ihm gehen die Meinungen auseinander, seitdem die Premiere bei den Berliner Filmfestspielen im Februar/März letzten Jahres in ungezügelten Protesten unterzugehen drohte. Es ist typisch für die Ablehnung, daß kaum auszumachen ist, wie sie im einzelnen begründet ist. Im Prinzip wird der ganze Film als Provokation genommen, vor allem weil Schilling sich nicht scheute, sein Dreiecksdrama mit einer derweil als kitschig empfundenen deutschen Mythe zu konfrontieren, mit der Loreley-Sage.    

     Während der TEE Rheingold zwischen Koblenz und Bingen kurvt und drüben liegt der Felsen Loreley, erzählt ein Großvater mit altväterischer Erzählerstimme die Sage seiner blondgezopften Enkelin, die am Fenster steht. Das ist der Moment größter Irritation. Denn unweigerlich, als hätten wir einen Literaturfilm vor Augen, gehen wir auf die Suche nach der abgebildeten Entsprechung, nach dem Signal, das den literarisch geformten und vorgetragenen Text entschlüsselt.   

     Es will aber kein Bild passen, nicht die rätselhafte Rothaarige in der Ecke des Abteils, und auch nicht Elisabeth Drossbach (Elke Haltaufderheide), die schon innerlich verblutet. Das Kino-Melodram ist dem literarischen Melodram über. Die Fährte, die da ausgelegt wird, ist falsch, wenn man ihr folgt: wir sind nur noch Touristen in unseren Mythen. "Rheingold" ist alles andere als literarisches Kino, er ist ein Film aus den filmsprachlichen Grundvokabeln Zeit, Bewegung und Licht, und keiner dieser Parameter kann ohne den anderen sein.   

     Eröffnet wird der Film mit einem Panorama in Dämmerung und Nebel. Der TEE Rheingold verläßt seinen Heimathafen Hoek van Holland. Während er nach Basel fährt, ereignet sich, daß Elisabeth Drossbach in Düsseldorf einsteigt und, keineswegs zufällig, den Zugkellner Wolfgang Friedrichs trifft, ihren Jugendfreund und Geliebten. In Bonn kommt, das war nicht vorhersehbar, Karl-Heinz Drossbach hinzu, seines Zeichens Ehemann und Diplomat, er sieht Elisabeth und Wolfgang in flagranti. Maßlos in Eifersucht, stößt Drossbach seiner Frau einen Brieföffner in den Unterleib und verläßt in Koblenz kopflos den Zug.    

     Während Elisabeth im Schock still nach innen verblutet, auch Wolfgang erfährt von nichts, jagt Drossbach mit einem Taxi dem Zug hinterher, er hat in ihm Aktenkoffer und Mantel vergessen. In Karlsruhe endlich erreicht er den Zug, wagt aber Elisabeth nicht anzusprechen, die das Abteil mit einem Fremden teilt. In Basel schließlich wird sie als Tote aus dem Zug getragen, Drossbach und Wolfgang verdrücken sich, der Fremde, auf Steuerflucht, wird abgeführt.   

     Mit der Schlußwendung setzt der Film, durchaus ironisch, neue melodramatische Komplikationen in Gang. Ein Schmalfilmer filmt die Szene; für ihn ist klar, was offensichtlich ist: daß der Mann zwischen den Polizisten der Mörder ist. So sehr verführt uns die Phantasie, wenn man sie mit Bildern füttert, und sowenig ist das Melodram noch naiv, wenn es uns zeigt, wo es in Wahrheit entsteht: in unserer Einbildungskraft.   

     Sie wird freilich von Schilling auf Touren gebracht. Während sie stirbt, gerät Elisabeth in eine ekstatische Stimmung, in der sie die Stationen ihres Lebens abfährt, ein rasender Zug in den Tod hinein. Auf seinem Höhepunkt vereinigt so der Film seine verschiedenen Elemente, baut die Ebenen ineinander zu einem Mosaik: Parallelhandlung von Zugfahrt und Taxifahrt, verbunden durch Parallelfahrten der Kamera, die zuweilen Zug und Auto zugleich im Blickfeld hat, Rückblenden in Elisabeths Kindheit, Erinnerungen an die Jahre, Tage, Stunden vorher, die Erzählung von der Loreley, das Bild der Landschaft.     


     In dieser vielschichtigen Montage, die zu den großartigsten Leistungen der letzten Jahre hierzulande gehört, ist "Rheingold" von makelloser Klassizität, eine durch rhythmisierte Polyphonie. Der Rhythmus der Zugfahrt, auf die Minute genau kalkuliert, wird zum Zeittakt der Schnitte, das Licht verändert sich mit der Zeit und zeigt die Zeitveränderung an, die Bewegung wird zum Ausdruck der Zeit, und Zeit ist das Maß der Bewegung.   

     Mit Elisabeth und dem Rheingold nähert sich die Zeit ihrem Ziel, erreichen Zeit und Bewegung und Licht die Station ihrer Vollendung im Tod. Unter den deutschen Filmen dieser Jahre gibt es keinen anderen, der dem Kino näher wäre.

TEE RHEINGOLD - Der Zugbegleiter

  

27.Juli 1977, Probe  


Noch immer Einrichten des Waggons in München. Problem mit den Scheiben ist gelöst. Endlich optisch gutes Material gefunden. Ernst Wild macht Farbtests: zufrieden. Zur Probe wird der Wagen zum Ostbahnhof gefahren, um die Lüftung des Stromaggregats zu überprüfen. Der Fahrtwind hilft erheblich. Ostler baut zusätzlich einen "Windfang", um mehr Luft in die Toilette zum Aggregat zu leiten. Trotzdem ein zweites Stromaggregat als Reserve. Schilling hat endlich sein Kind gefunden. Von Isolde Jovine auf einem Schulhof entdeckt und gleich mit Mutter zum Waggon gebracht. Die Mutter ist noch skeptisch.  


29.Juli, Hauptprobe  


Der chronologische Ablauf eines Drehtages. Man versucht so zu arbeiten, als würde der Wagen bereits fahren. 5 Stunden und 15 Minuten Zeit! Immer wieder Unterbrechungen. Leute steigen ein und aus. Schilling ruft unerbittlich die Bahnhöfe aus: "Nun sind wir schon in Freiburg, aber eigentlich sollten wir erst kurz vor Koblenz sein!" Spätestens jetzt haben alle wenigstens eine Ahnung von dem, was sie erwartet.  


6.August, 3.Drehtag  


Wir fahren! Das zweite Mal Richtung Basel SBB,

angehängt an den fahrplanmäßigen "Rheingold".      Noch leichte Aufgaben:  



Geschwindigkeitsbezug, Stadtgebiet oder freie Strecke etc., Hohenzollernbrücke in Köln. Kirschstein und Malzacher klagen etwas über die fast alles beherrschende Technik des Drehens. Aber der Drehplan wird noch dichter werden.  


8.August, 4.Drehtag  


Jo Braun versucht auf der Rückfahrt nach Emmerich, unserem Standort im Norden, die Stichwunde. Ein Test im fahrenden Zug, schaukelnd. Beim Drehen der Szene kann die Wunde auch erst kurz vorher präpariert werden. Schilling betrachtet sie lange: "Nicht schlecht." Das heißt: Gut. Man versteht inzwischen schon seine Untertreibungen.  

Spät abends Muster ansehen in Rees. Das einzige Kino von Emmerich wird umgebaut. Das Kino in Rees ist technisch eine Katastrophe. Es sieht aus, als wäre die Optik des Projektors mit Fett beschmiert worden. Man muß in Basel ein besseres Kino finden.  


11.August, 7.Drehtag  


Die Abschiedsszene auf dem Düsseldorfer Hauptbahnhof. Zwei Kameras im Zug sollen Alice Treff und Elke Haltaufderheide aus dem einfahrenden Zug heraus aufnehmen. Alles ist mit den Leuten vom Bahnhof, dem Lok- und dem Zugführer besprochen. Trotzdem fährt die Lok 50 m weiter vor. Warum, weiß niemand. Die

Szene ist nicht zu retten. Das heißt:

nochmals drehen. Helmut Bauer ist unglücklich.  


13.August, 9.Drehtag  


In Düsseldorf steigen heute mehrere Statisten als Reisende zu. Kaum hat der Zug die freie Strecke erreicht, ist man schon drehfertig. Es geht wie geplant. Sie erhalten ihre Gage und können um 11.41h in Koblenz wieder aussteigen, mit dem Rückfahrgeld nach Düsseldorf. Sie sind abgedreht.  


16.August, 11.Drehtag  


Um 15.36 wieder pünktlich in Basel SBB. Der "Rheingold" ist längst weiter unterwegs nach Genf. Der "Filmwagen", wie er bald offiziell heißt, abgehängt auf seinem Stammplatz auf Gleis 1.  

Elke Haltaufderheide verschwindet im Büro von Elfi Mayer zum üblichen Kostenstand. Das sicher über Voranschlag liegende, perfekte technische Einrichten des Waggons muß sich gelohnt haben. Man liegt im Drehplan immer besser. Geht es so weiter, werden diese Mehrkosten bald eingeholt. Man sollte den Wagen nach den Dreharbeiten als "Rollendes Filmstudio" weiter vermieten.  

In einer Ecke der Hotelbar sitzen Isolde Jovine, Lucie Lichtig und Schilling. Sie essen wie immer Erdnüsse, trinken Kaffee, besprechen die nächsten 2 Tage. Schilling zeichnet die Einstellungen in vorgedruckte Skizzen.

Tropfen mehr! Kurz nach Koblenz erste Sonnenstrahlen durch die Wolken. Im Funkgerät: "Die Sonne! Die Loreley kommt in einer Minute." Graupner wirft das Aggregat an. "Noch 30 Sekunden." Die Kamera läuft. Schönstes Licht. Gunther Malzacher und Elke Haltaufderheide fiebern mit. In einem anderen Abteil trinken sie zur Beruhigung Rotwein. Karin Geuer bügelt im Garderobe-Abteil eine Kostümjacke auf. Frank Geuer kann seine "Regenmaschine" doch trocken lassen. Es wird kein Anschlußproblem geben. Reinfried Keilich macht sich langsam als "Erfinder" bereit. Die Scheinwerfer brennen fast ständig. Und die Abgase des Stromaggregats dringen immer mehr in die Abteile. Aber es läuft. Ein guter Tag!


20.August, 15.Drehtag  


Christoph Graupner und Rita Dangriess geben sozusagen ihre Verlobung bekannt. Sie haben sich bei diesen Dreharbeiten kennengelernt. Sonst alles nach Fahrplan.  

  

23.August, 17.Drehtag  


Taxiverfolgung aus dem Zug. Zweiter Versuch. Schon in Köln hat der Zug Verspätung. Keine guten Aussichten. Über 10 Minuten später als vorgesehen passieren wir den Zug den Bahnhof von Spay. Mit 130 km/h. Die Funkgeräte funktionieren wieder nicht richtig, obwohl sie auf der gestrigen Rückfahrt ausprobiert wurden. Kein Funkkontakt ins Taxi! Plötzlich taucht der Mercedes neben dem Zug auf. Heulend die Polizei voraus. Fast zu schnell.


Kretschmer ist vorne in der Lok. Zur Sicherheit hat er glücklicherweise Signalflaggen dabei. Über Funk und Zugtelefon hat man mit ihm Kontakt. Mit den Flaggen dirigiert er jetzt die Fahrweise.

Ohne die Polizei, die fortlaufend die Strecke sperrt, das Taxi sicher durch die Orte leitet, wären diese Aufnahmen nicht zu machen. Erst später, am Abend, erfährt Axel Ganz per Telefon, daß er als Taxifahrer gut gefahren ist. Die Szene ist drin.  


24.August, 18.Drehtag  


Die 9.Rückfahrt. Rückfahrten werden immer für Proben und Vorbereitungen benutzt. Oder man dreht Rückblenden und fensterlose Bilder. Die Klimaanlage ist ausgefallen. Der Waggon stand in Basel den ganzen Vormittag in der prallen Sonne. Und die Scheinwerfer heizen noch mehr. Es passiert heute alles langsam. Kaum wird gedreht. Die Luft ist irgendwie raus. Der Zug ist wohl als völlig normaler Drehort akzeptiert. Bei der Ankunft in Emmerich um 20.36 Uhr eine gewisse Verstimmung. Einziges Thema: die Mückenplage.  


3.September, 27.Drehtag  


Die sogenannten Außenmotive. Fast eine Woche schon mit Bus unterwegs. Am Morgen in Crohn's Hotel in Koblenz-Stolzenfels. Festen Boden unter den Füßen. Man sieht aus dem Fenster (alle 3 Minuten donnert


ein Zug knappe 30 Meter am Hotel vorbei). Warten auf unseren "Rheingold". Eine einfache Szene. Man vermißt nun schon langsam die Anspannung, die rasende Fahrt, das Einmalige des Zugdrehs.  

  

 

10. September, 33.Drehtag  


Fahrt zurück nach München. Der Bus fährt viel zu langsam und ist unbequem. Schon werden die ersten Geschichten aus "unserem Zug" erzählt. Man ist dabei gewesen.  

Alles ist in Auflösung. Abschied. Nur Wild, Otfried Dirnberger und Schilling werden für die letzten Aufnahmen nochmals an die Strecke fahren. Hoek van Holland ist als Motiv dazugekommen. Dort wo der TEE "Rheingold" entsteht, soll auch der Film beginnen. Am Meer.



Dreharbeiten im Bahnhof Basel SBB  - Das Protokoll

Emmerich, 17.Drehtag, 9:23h - Das Team vor der Abfahrt

G a l e r i e

Die Bilder

Die Fahrzeuge

Das Drehbuch   

Das Fahrtenbuch

Das Protokoll

Das Team   

Die Darsteller

Die Presse


RHEINGOLD   


Buch und Regie NIKLAUS SCHILLING, Bild ERNST WILD, Ton ROLF MAASS, Musik EBERHARD SCHOENER, Schnitt THOMAS NIKEL, ANGELIKA GRUBER, Ausstattung GRETEL ZEPPEL, Maske JO BRAUN, Requisite FRANK GEUER, Garderobe KARIN GEUER, Regieassistenz ISOLDE JOVINE, Streckenassistenz KLAUS SUNGEN, Script LUCIE LICHTIG, Technik CHRISTOPH GRAUPNER, GEORG OSTLER, Kameraassistenz OTFRIED DIRNBERGER, Standfotos KARLHEINZ VOGELMANN, Sekretariat RITA DANGRIESS, Geschäftsführung ELFRIEDE MAYER, Aufnahmeleitung DIETER KRETSCHMER, Mischung MILAN BOR, Lichtbestimmung HELGA MENSFELD, Produktionsleitung HELMUT BAUER  

Eine VISUAL-Filmproduktion von ELKE HALTAUFDERHEIDE

  


PERSONEN UND IHRE DARSTELLER   

Wolfgang Friedrichs RÜDIGER KIRSCHSTEIN, Kar1-Heinz Drossbach GUNTHER MALZACHER, Elisabeth Drossbach ELKE HALTAUFDERHEIDE, Mutter ALICE TREFF, Erfinder REINFRIED KEILICH, Astrologe ALFRED BAAROVY, Junge Frau PETRA MARIA GRÜN, Großvater FRANZ ZIMMERMANN, Enkelin ULRIKE QUIEN - und CLAUDIA BUTENUTH, HORST PASDERSKI, DOROTHEA MORITZ, AXEL GANZ, WALTER KRAUS, MICHAEL TIETZ, CLAUDIUS KRACHT, MELANIE PIANKA, OLIVER BUTENUTH u.a.  

Pressebetreuung LOTHAR R. JUST  


Wir danken den Mitarbeitern der DEUTSCHEN BUNDESBAHN, der SCHWEIZERISCHEN BUNDESBAHNEN und der NIEDERLÄNDISCHEN STAATSBAHNEN für ihre große Unterstützung.


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RHEINGOLD (1977)  

Format: 35 mm / Farbe, 1:1.66 Länge: 2490 m / 91 Min.  

Uraufführung  24.Februar 1978 - Internationale Filmfestspiele Berlin, Wettbewerb,

u.a. Filmex Los Angeles 1978
1978 - 2 Bundesfilmpreise - für Produktion und Kamera

  


  

 

Der Fahrplan als Drehplan

Die Strecke   

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Serienausführung















Die bisher schnellsten und stärksten Elektrolokomotiven der Bundesbahn wurden für die Beförderung moderner TEE- und F-Züge entwickelt. Die Konstruktion ist eine Gemeinschaftsarbeit des BZA München und der Firmen Henschel und SSW. Der aus Leichtmetall-Bauteilen geschweißte Lokomotivkasten ist mit dem Brückenrahmen verschraubt, der als Stahlblech-Schweißkonstruktion ausgeführt ist.Für die federnde und seitenbewegliche Abstützung des Aufbaus sind auf jedem Längsträger der dreiachsigen Drehgestelle über dem mittleren Radsatz je 4 Schraubenfedern eingebaut. Die Lokomotiven 03 001 und 003 haben einen Verzweigerantrieb mit Gummidrehfeder und zweiseitigem Stirnradantrieb erhalten, die beiden anderen Maschinen einen Gummiring-Kardanantrieb mit einseitigem Stirnradgetriebe. Für Reisegeschwindigkeiten von 200 km/h mußten besondere Sicherheitseinrichtungen geschaffen werden. Hierzu zählen mehrere voneinander unabhängige Bremssysteme und eine Linienzugbeeinflussung. In den nächsten Jahren sollen insgesamt 200 Lokomotiven der Baureihe E 03 beschafft werden. Am Ende des Jahres 1972 waren bereits 114 Maschinen der Reihe 103' geliefert, deren äußeres Bild durch eine zweite Reihe Lüftungsgitter gekennzeichnet ist. Ab der Betriebsnummer 103216 haben die Lokomotiven eine LüP von 20200 mm.


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Presseheft zur Uraufführung im Wettbewerb der

Internationalen Filmfestspiele Berlin 1978

Mit Genehmigung der Franckh'schen Verlagsbuchhandlung,

Stuttgart, entnommen aus:

Taschenbuch Deutscher Elektrolokomotiven

von Horst J. Obermayer, 1976

Taschenbuch der Eisenbahn, Bd. 1 Fahrzeuge und Bahntechnik

von Horst J. Obermayer, 1977


18.August, 13.Drehtag  

  

In Emmerich. Es soll auch in Koblenz regnen. Es regnet weiter. Nachdem der Zug noch mehr ins schlechte Wetter reinfährt, will Schilling in Duisburg den Waggon abhängen und eine Rückblendeszene in einem Hotel drehen. Er will keinen Drehtag verlieren. Zudem werden die Anschlüsse nie stimmen, 2 Tage vorher war Sonne. Aber die Genehmigung für das Kind läuft aus. 2 Darsteller müßten abgedreht werden. Wir bleiben dran! Dieter Kretschmer telefoniert immer wieder aus dem Zugsekreta-riat mit den Bahnhöfen von Koblenz und Mainz: weiterhin schlecht. Trotzdem wird geprobt. Die Loreley soll mit der ersten Szene verbunden werden. Es muß auf Sekunden genau ablaufen. Klaus Sungen schaut angestrengt aus dem Fenster. In den Regen. Plötzlich aber kein

Jahrbuch Film 1977/78,

Herausgegeben

von Hans-Günther Pflaum

(Hanser)



Niklaus Schilling
Von Düsseldorf bis Basel

Drehbuchschreiben in einem Zug: Rheingold


Um 10.21 Uhr besteige ich am 15. August 1975 in Düsseldorf zum erstenmal den TEE "Rheingold" Richtung Basel. Mein Gepäck vor allem Papier, Kugelschreiber, eine Leporello-Karte des Rheinverlaufs, eine Polaroid- und eine Kleinbildkamera, Zigaretten. Der Zug ist nur mäßig besetzt. Ich wähle einen Abteilwagen direkt hinter dem legendären, gläsernen Aussichtswaggon. (Im Bahnhof von Düsseldorf zog er, langsamer werdend, an mir vorbei. In großen, goldenen Lettern konnte ich das Wort "Rheingold" lesen. Verwaschen zwar, das Gold stumpf geworden. Der Zug muß seine große Zeit in den 50er-Jahren gehabt haben, gebaut ganz im Stil der neuen, aufstrebenden Republik. Heute bekommt bei seinem Anblick nicht einmal mehr ein Kind große Augen.)
Es stimmt, selbst die Schaffner wirken freundlicher, leiser. Der Zug zehrt noch immer von seinem Ruhm. Es gibt auf dem Netz der Bundesbahn schnellere, modernere Züge, aber es gibt keinen, der diesen schönen Namen trägt: "Rheingold". Was ist dagegen ein "Merkur", "Roland", "Rheinblitz" oder "Diplomat"? Zudem ist die Strecke, auch heute noch, eine Attraktion. Sie verbindet den Rhein entlang das schmutzige, deutsche Industriegebiet, in dem Arbeit zu Geld wird, mit jenen schweizer Zentren. Basel und Genf, in denen dieses Geld sauber arbeitet, wo es verwaltet wird, fließt. Flußaufwärts gebracht wird. Ich erkenne meist stille Männer, die einsam in Akten lesen, großformatige Zeitungen umblättern. Ihr Blick geht weder auf die Burgen am Rhein, noch zu ihren Mitreisenden, die sich Brote kauend an die Fenster stellen. Geschichte zieht vorbei. Eine Geschichte, die erklären könnte, warum sie in diesem Zug sitzen mit ihren prall gefüllten Aktenkoffern. Gerade zwischen Bonn und Mainz könnten sie viele Denkmäler von Ausbeutung sehen, Macht. Die "Pfalz", den "Mäuseturm", "Reichenstein" alles freigegeben für die Touristen, gegen eine erschwingliche Eintrittsgebühr. 1m Jahr des Denkmalschutzes. Der Abteilwaggon erweist sich als Drehort geeignet. Das genaue Ausmessen mit einem Maßband läßt den überraschend vorbeikommenden Schaffner irritiert kurz stehen, doch er schweigt und zieht weiter. Als ich auch noch die Toilette fotografiere, weiß ich jedoch, daß weitere Dokumentationsversuche dieser Art mich in einen unliebsamen Verdacht bringen. Wenig später höre ich, daß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im "Rheingold" 15 Gemälde von Cézanne, Renoir, van Gogh und Corot von einem Kunstdiebstahl aus Italien über die Schweiz nach Duisburg verbracht wurden. Während ein Zollbeamter diskret in einem Fahndungsbuch blättert, erfahre ich, daß mein Nachname in seinen Ohren durchaus einen gewissen Klang hat.

Nachdem ich die gesamte Strecke auch fotografisch registriert habe, entschließe ich mich bald, für die nächsten Fahrten den Großraumwagen zu benutzen. Obwohl der Abteilwaggon für die Struktur der Geschichte absolut notwendig ist, beengt er jedoch auf eine Weise die Assoziation, denn zu selten ist der Zug wirklich so besetzt, daß sich auch jemand in mein Abteil setzen müßte. Ich sehe meine Vermutung bestätigt, als ich durch den Zug gehe und fast nur einzelne Reisende finde, selten ein Paar oder fotografierende Touristen. Nur die gruppenreisenden Japaner belegen ihre reservierten Plätze systematisch. Ihr Gepäck ist zudem so umfangreich, daß die schweren Koffer schon den Weg durch den Gang zum Hindernislauf machen. Prinzipiell jedoch will man möglichst allein reisen. Es gibt wenig Bereitschaft für Konfrontationen mit fremden Gesichtern. Es herrschte die Einsamkeit, wenn nicht plötzlich doch Menschen zusteigen würden, für die Zugfahren auch eine Stimulanz bedeutete, die dieses merkwürdige Übereinkommen zur Sprachlosigkeit durchbrechen würden. Im Bahnhof von Düsseldorf fällt mir eine Frau auf. Vielleicht 35, gut angezogen, eine teure Tasche unter den Arm geklemmt, besteigt sie ohne Gepäck ruhig den Zug. Später erkenne ich sie wieder in einem Abteil, ihr gegenüber natürlich zwei Männer. Noch immer ruhig, liest sie in einer Zeitschrift. Kurz geht ihr Blick zum Flurfenster, vielleicht zu den Rebhängen, vielleicht zu mir im Flur. Ich gehe weiter. Warum? Im Großraumwaggon kann ich unbeengt schreiben, meine Augen wandern umher, ohne daß ich mich selber beobachtet fühle. Schnell entwickelt sich ein Rhythmus, der sich nach den Bahnhöfen richtet. In 5 Stunden l5 Minuten erreiche ich dabei eine Arbeitsleistung, von der ich auf einem festen Stuhl, an einem festen Tisch nur träume. Am Ziel angekommen, entsteige ich dem Zug wie auf der Kirmes, wo ich mir danach gebrannte Mandeln kaufen durfte. Benommen, mit einem leergeschriebenen Kugelschreiber.
Man kann eine einfache Rechnung aufmachen: setzt man einen bescheidenen Lebensstandard voraus, so ist ein l.-Klasse-Jahresabonnement für das gesamte Netz der deutschen Bundesbahn inklusive der Übernachtung und Verpflegung in gutbürgerlichen Hotels günstiger, als das feste Wohnen und Leben in irgendeiner Stadt. Man hat mir von einem Mann erzählt, der sich jedes Jahr eine solche Karte kauft und die Hälfte des Jahres in fahrenden Zügen verbringt. Immer wieder für ein paar Tage zurückkehrt wie zu einem Depot, wo er die Gedanken und Eindrücke ansammelt zu einer absoluten Erfahrung von Bewegung. (Vielleicht ist die Freizeitbewegung des Sammelns und Auswendiglernens von Kursbüchern die harmlose Variante dieser unstillbaren Sehnsucht, degeneriert zu kleingedruckten Zahlen auf engbedruckten Seiten.)

Immer wieder lege ich den Film ein, um ihn an meinem Fenster vorbeiziehen zu lassen. Doch jedesmal erscheint er in einer anderen lntensität, setzt er sich zu einer anderen Geschichte zusammen. Und so sehe ich ihn auch rückwärts, von Basel nach Düsseldorf. Wenn ich in Basel um l4.32 Uhr zusteige, fahre ich der Nacht entgegen. Schon nach Mainz wird das Licht wärmer. In Köln rollt der Zug später dicht an grauen Häusern vorbei. Nur mühsam kann man noch die leeren Flaschen auf den Balkonen zählen. Die Fenster erleuchtet. Schon geschlossene Vorhänge. Ebenso beim schäbigen City-Hotel, das an der Rückfront seine Telefonnummer empfiehlt. Schließlich überquert man den inzwischen goldenen Rhein, der Silhouette des Doms entgegen. Fast lautlos wird mein Wagen in die dunkle Bahnhofshalle gezogen. Noch einmal überquert der Zug den magischen Strom. Bald rast er wieder. Ich stelle mich links an das Flurfenster, denn ich will das riesige Signet der Bayer-Werke fotografieren. Vor dem Abendhimmel scheint sich seine Konstruktion völlig aufzulösen, so daß es wie eine Lichterscheinung über den schwarzen Gebäuden steht. Als ich in Düsseldorf, nun wieder im Hotel Bismarck, ziemlich erschöpft die Zimmertür hinter mir schließe, ist es Nacht. Endlich ist es kühler. Vom Hof dröhnt die monumentale Musik aus "Rollerball". lch entdecke, daß die Fenster des Vorführraums eines nahen Kinos geöffnet sind. Nach der Schlußapotheose der letzten Vorstellung höre ich gegen Mitternacht nur noch das nervöse Summen der Klimaanlage des darunterliegenden Großraumbüros einer internationalen Bank. Ich bin zufrieden, denn auch der unfreundliche Portier hat mir inzwischen als Stammgast einen guten Preis gemacht.

Eigentlich bin ich am Rhein aufgewachsen. In Basel, wo man singt, Z'Basel a my'm Rhy. Ich war im Rheinhafen und habe die Schiffe gezählt. Ich konnte nicht oft genug für 10 Rappen mit der Münster-Fähre, die nur von der Strömung hin- und hergezogen wird, die Ufer wechseln. Der alte Fährmann blieb zwar meistens stumm, behielt sein schier unerschöpfliches Wissen um den sagenhaften Fluß für sich. Wenn er heute noch lebte, würde er seine Geheimnisse bestimmt noch weniger preisgeben. "Touristen" können weder sehen noch zuhören. Und dabei gibt es in den rheinischen Sagen einen ungeheuren Reichtum an Motiven und Gestalten. Siegfried natürlich, Volker von Alzey, Hagen von Tronje, Karl der Große und St. Ursula, Dombaumeister Gerhard, Albertus Magnus und Agrippa von Nettesheim, Dietrich, Genovefa, Goar und Ensfried. Alle die Ritter, Räuber und großen Zecher. Dazu der Rheinstrom, Weinberge, Klosterkeller Burgruinen, Bergwerke. Brentanos Lore Lay, Karl Simrock, Heinrich Heine ... Die Rheinstrecke ist auch die Fahrt durch ein riesiges Museumsgebiet, das uns Geschichte lehrt und Geschichten erzählt über Deutsch-Land. Doch jedes Jahr trägt der Fluß Bilder ab, nimmt sie mit ins Meer, wo sie zerfließen, weil wir nicht mehr in der Lage sind, sie zu erfassen, festzuhalten. Was bleibt, ist der Rhein, die Sonne, die "goldene Luft" wie sie in der Mainzer Sage heißt. Bei anhaltendem Nordwind wird man aber auch das bald nicht mehr verstehen.

Bei Bingen grüßt mich, pünktlich wie immer, die Germania am dunstigen Horizont. Elf Meter hoch, auf einem Sockel von 25 Metern. In der rechten, hocherhobenen Hand die Krone, in der linken das Schwert von 7,05 Metern Länge. Schon beim ersten Sehen glaube ich, eine gewisse Affinität zu spüren. Es sollte mich nicht überraschen, daß ein Bildhauer mit Namen Johannes Schilling Jahre seines Lebens mit ihrer Herstellung verbracht hat. Bei der Einweihung dieses Niederwald-Denkmals am 23. September 1883 sollte der Kaiser mit seinem Gefolge in die Luft gesprengt werden. Die Ladung zündete nicht. Der Sozialist August Reinsdorf wurde als Rädelsführer eines Komplotts verhaftet, zum Tode verurteilt und am 7. Februar 1885 hingerichtet. In den Sockel gemeißelt kann man lesen:

Es braust ein Ruf wie Donnerhall,
Wie Schwertgeklirr und Wogenprall:
Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein:
Wer will des Stromes Hüter sein?
So lang ein Tropfen Blut noch glüht,
Noch eine Faust den Degen zieht,
Und noch ein Arm die Büchse spannt,
Betritt kein Feind hier Deinen Strand.


Germania hat sie trotzdem bewegungslos vorbeiziehen lassen. Nicht weit entfernt befand sich jene Brücke von Remagen, die strategisch so bedeutsam wurde, daß United-Artists nach ihr sogar einen Film drehen ließ. Ein Werk der Pyrotechniker, sie wußten dabei sicher nicht, daß die erste Eisenbahnbrücke über den Rhein schon 1859 in Köln gebaut wurde. Später erzählte man sich, daß in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts, als man noch an keine Eisenbahn dachte, ein Mann des Gehöfts "Zum Hofe" eines Nachts eine ganze Reihe von Wagen durchs Tal fahren sah, kein Pferd war zu sehen, aber mit Feuer wurde die Wagenreihe vorwärtsgetrieben ... Es ist angenehm, im klimatisierten Wagen zu sitzen, während draußen die Sonne brennt. Die Landschaft in einem fast zu grellen, blendenden Licht. Nach bald vier Wochen Rhein bin ich nicht unglücklich, erstmals wieder nach München unterwegs zu sein. Aber kaum in Bayern erfasse ist erst, was mir die dramatische Rheinlandschaft jetzt bedeutet. Ich mache eine Rechnung und stelle staunend fest, daß ich in der Zeit zwischen dem 14. August und dem 12.September über 12000 Kilometer zurückgelegt habe.

Loreley-Felsen Niederwald-Denkmal